Irgendwie muss ich mir eingestehen, dass heute der Rückweg angefangen hat. Auf der ersten Etappe wird exemplarisch vorgeführt, dass auch bekanntes Terrain nicht unbedingt leichter zu befahren ist.
Ich mache heute tatsächlich eine Kehrtwende und fahre die Nordküste einfach wieder nach Osten zurück. Über die Gründe werden sich Generationen von Rad-mit-Golf-Historikern die Köpfe zerbrechen, Symposien zu dieser Fragestellung werden im Streit eskalieren, ehemals fruchtbare Forschergemeinschaften daran zerbrechen. Freuen wir uns darauf und stellen für heute einfach fest: Der Zielort für heute lautet Bettyhill und bei dem Gedanken an den Campingplatz graut es mir schon jetzt. Aber das einzige Hotel des Ortes ist offenbar ausgebucht. Das ist angesichts der Abgeschiedenheit schon erstaunlich.
Na ja, nur das Grauen wird mich nicht näher an den Zielort bringen, daher bleibt mir irgendwann dann doch nichts anderes übrig, als in die Pedale zu treten und das wunderschöne Durness zu verlassen. Wir sehen uns wieder!
Vor drei Tagen, auf dem Hinweg, meinte eine Cafébetreiberin zu mir, dass der Weg in die andere Richtung, also derjenigen des heutigen Tages, als anstrengender gelten würde. Das konnte ich mir da natürlich noch gar nicht vorstellen. Allerdings erinnere ich mich genau an das gequält-genervte Gesicht eines Rennradlers, der mir bergauf entgegen kam und ich dachte noch bei mir: Der könnte ja auch mal etwas freundlicher gequält gucken. Sich das Leiden der Anderen zu eigen zu machen bzw. zu verstehen gilt ja im Allgemeinen als gefragte Qualität unter dem Stichwort Empathie. Ich gebe offen zu: Wenn ich gerade einen Berg hinab rolle, dann ist da nichts als Schadenfreude hinter der Maske des aufmunternden Nickens. Soll er doch gucken, wie er da rauf kommt. Ich hatte es ja auch nicht leicht, bis eben. Mein lockeres Rollen habe ich mir hart erarbeitet, da habe ich mich auch nicht so angestellt! Und dann schau dir bitte auch mal an, wieviel Gepäck ich mit mir rumschleppe! Da fällt mir gerade wieder ein, wie sehr mich der Kommentar des nur dann nicht zu verabscheuenden J. Fleischhauer, wenn man ihn als Kabarettisten versteht, angewidert hat. Solche Menschen bestellen den Boden für den Rechtsruck der Mitte. Den LINK zu dieser Kolumne stelle ich nur der Vollständigkeit halber zur Verfügung, man möge ihm nicht folgen.
Hm, was soll ich sagen: Die gute Wirtin hatte Recht. Ich hatte ganz tolles Wetter, nur wenige Autos waren zu sehen, selbst der Wind hielt sich angenehm zurück. Und doch ließ sich nicht leugnen, dass die Anstiege in diese Richtung einfach eine Spur steiler waren und die Abfahrten mehr Aufmerksamkeit erforderten, so dass die Anstrengung insgesamt minütlich höher wurde. Als ich den Anstieg hochruckelte, an dem ich dem grimmen Rennradler begegnete, kam mir der Gedanke, was für eine sympathische Frohnatur das wohl war. Auch hier galt aber, was auf der ganzen Tour gilt: Auch dieser Berg hatte irgendwann ein Ende. Und tatsächlich war damit das Schlimmste geschafft. Ich rastete noch mal an der bereits besprochenen Stelle, an der der Mensch sich möglicherweise bald aufmacht, unendliche Weiten zu erkunden.
Dann radelte ich relativ entspannt gen Bettyhill. Auf dem Weg kam mir noch ein ganzes Rudel an VW-Bussen aus Sachsen entgegen. Da kommt mir gerade in den Sinn, dass ich die ganze Zeit schon davon berichten wollte, dass die Schafe sich hier unglaublich lustig verhalten. Man stelle sich die Situation wie folgt vor: Wir befinden uns auf einer relativ wenig befahrenen Straße, die so durch die Gegend mäandert. Links und rechts ist wenig bis nichts, woran sich das Auge festhalten könnte, wohl aber eine Menge, was das gemeine Schaf so gerne zu sich nimmt. Da vor einigen Jahrhunderten die sogenannten Clearances (für den Interessierten: LINK) dafür gesorgt haben, dass sich in den schottischen Highlands die Schafszucht flächendeckend ausgebreitet hat, gibt es eine Menge dieser Wollköpfe am Straßenrand. Auch wenn die Straße wenig befahren ist, heißt das aber sehr wohl, dass alle paar Minuten ein Auto oder ein Motorrad vorbeikommt. Das tun diese Vehikel teilweise mit enormer Geschwindigkeit und Lautstärke. Die Schafe quittieren das mit: Überhaupt gar keiner Reaktion. Sie sehen nicht mal von ihrem schmackhaften Mahl auf, geschweige denn, dass es zu irgendeiner sonstigen Reaktion käme. Wenn man sich jetzt aber die gleiche Straße und die gleichen Schafe vorstellt und das Auto durch ein Fahrrad ersetzt, dann wird es unruhig. Schon von Weitem wird der Radfahrer von den Schafen beäugt und sie scheinen sich zuzuraunen, dass da schon wieder ein Fremder kommt. Wenn sich das Rad den Schafen nähert, dann passiert etwas wirklich Unerwartetes: Sie nehmen kollektiv Reißaus in teilweise erstaunlicher Heftigkeit. Offensichtlich fühlen sie sich in ihrer Schafigkeit durch das ungewohnte Fahrrad bedroht und sehen die Existenz ihre Schafskultur leichtfertig auf’s Spiel gesetzt. Ja, das Unbekannte kann einem schon viel Angst bereiten, auch wenn es bei näherer Betrachtung wesentlich weniger bedrohlich ist, als das, was man schon lange kennt. Schön, dass die Schafe wenigstens einen angemessenen Umgang mit ihrer Angst gefunden haben. Mit ein bisschen Abstand können sie nach der Flucht dann mit der Zeit lernen, dass das Fremde gar nicht so unerträglich ist. Das gilt für bereits geschorene Schafe genauso wie für diejenigen, die noch volle Wollpracht tragen.
Einen Kilometer vor Ende des Tagesziels passierte ich ein vertrauenerweckendes B&B, das auf dem üblichen Schild darauf hinwies, dass für den heutigen Abend noch Zimmer zu haben wären. Und so zerstreuten sich dann meine verdrängten Sorgen bezüglich des Campingplatzes umgehend. Es war eine sehr gute Entscheidung. Ich plantschte nach den vielen Hügeln des Tages eine ganze Zeit in der Badewanne und die Strapazen waren bald uralte Geschichte. Die Betreiberin des B&Bs erzählte mir lustigerweise, dass sie die Cousine des gestern erwähnten Greenkeeper in Durness sei. Ein kleine und schöne Welt hier oben.
Der heutige Tag bekommt den Schweinchen-Babe-Award für nachahmenswerte Kommunikation im Tierreich.
Kommentare
herzlichen Dank wieder einmal für Deine Zeilen. Im Rheinland ist zwar auch grad wieder herrliches Wetter, aber mit "frei" zusammen wäre das noch besser. So bleibt mir wieder einmal nur der Blick in Deinen Blog.
Und dann noch zwei Bemerkungen. Erstens: was Deine Einschätzung von J.F. angeht, die teile ich ausdrücklich! Das müssen wir bei Gelegenheit diskutieren, aber nicht hier.
Und dann empfehlen ich zum besseren Verständnis des britischen Schafes unbedingt die Videos von Shaun, dem (Anarcho-)Schaf aus der WDR-Mediathek. Und das wäre nicht nur Freddies Empfehlung, sondern auch die seiner Eltern...
Alles Gute für die "back nine" Deiner Reise
Stefan (L.)
Ich ziehe meinen Hut vor jedem der die Tour mit dem Rad macht - egal wie rum er fährt ;)
Schade das du die Westküste nicht runter fährst, da kämen noch ein paar Golfplätze die echt schön sind. Wie du ja im Forum schon geschrieben hast, warst du an Hopeman ja schon vorbei - vielleicht klappt es ja auf der Rückfahrt :oD
Gute Reise
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