Die Reise nach North Berwick war eine lockere Tour, aber der Regen, die Kiltträger und die Scottish Senior Open haben mehr Zeit gekostet, als ich dachte, so dass ich für die geplante Runde auf dem östlich gelegenen Platz von North Berwick weniger Sonnenlicht zur Verfügung hatte, als gehofft.

Ich wusste bereits, dass der Campingplatz einen direkten Zugang zum zweiten Golfkurs des Ortes, The Glen, hat. Daher gab ich den Plan, diesen Platz noch am Nachmittag der Anreise zu spielen vorerst nicht auf, auch wenn es bereits auf fünf Uhr zuging, als ich das Zelt aufbaute. Ich beeilte mich, da ich mir für die heutige Golfrunde eine Aufgabe gestellt hatte. Ich habe in den letzten Wochen so bescheiden gespielt, dem Spiel nicht mehr viel Aufmerksamkeit geschenkt. Das war völlig in Ordnung, da einfach anderes in den Vordergrund getreten ist: Das Radfahren, das Schreiben, meine eigenen Gedanken. Genau so war die Reise von Anfang an angelegt. Aber Golf war nicht nur in den letzten zehn Jahren ein bedeutender Teil meines Lebens, sondern ist nun mal auch definierender Bestandteil dieser Reise.

Wenn ich eine Runde Golf spiele und relativ schlechte Ergebnisse spiele, dann kann ich durchaus damit leben. Was mich aber immer aus der Fassung bringt und damit einen Teufelskreis, einen sich immer weiter verstärkenden Prozess einleitet, ist, wenn ich mich nicht im Moment des Schlages und in den Sekunden davor völlig auf diesen Moment einlasse. Besonders gut ist das für mich beim Putten zu beobachten. Bei diesem Schlag ist die Technik relativ gut nachvollziehbar, die Bewegung ist im Verhältnis zu anderen Schlägen simpel. Daher ist die Einstellung zum Schlag hier meiner Meinung nach noch entscheidender, als bei anderen. Zumal der Putt eine finale Bedeutung hat: Fällt der Ball ins Loch oder bleibt knapp neben dem Loch liegen, dann steht das Ergebnis fest, während alle anderen Schläge – wenigstens üblicherweise – immer noch folgende Aktionen nach sich ziehen, die ihre eigene Dramaturgie mitbringen und erfordern. An Tagen oder in Wochen in denen ich Golf auf meinem persönlich besten Niveau spiele, bin ich nahezu vollständig auf jeden einzelnen Putt konzentriert und kann die Bälle ins Loch fallen sehen, bevor ich den Schläger auch nur aushole. Das sorgt für eine zuversichtliche und konsequente Bewegung, die Ergebnisse sind dann nur eine logische Folge, denn was eigentlich bei allen Golfschlägen gilt, ist beim Putten am zuverlässigsten zu beobachten: Der Versuch des Verlangsamens des Schlägerkopfes während der Bewegung führt regelmäßig zu Unregelmäßigkeiten vor allem aber nur zufällig zum erwünschten Ergebnis.

Was wollte ich noch gleich sagen? Ah, ja: In den letzten Wochen habe ich genau das nicht gemacht, nämlich, mich auf jeden einzelnen Putt vollständig einzulassen. Ich habe zu oft gespielt, weil es eben ein Teil der Reise war und nicht, weil ich unbedingt gerade spielen wollte. Das klingt nicht nach einem sehr harten Schicksal, richtig? Sehe ich auch so. Aber die Frage dahinter ist doch: Was macht man, was mache ich eigentlich sonst so, nur weil ich denke, dass ich es machen muss? Und wozu führt es, wenn man, wenn ich, das einfach immer wieder tue, ohne es regelmäßig zu hinterfragen? Ich stelle mir diese Frage schon lange und lege sie normalerweise auf den Stapel der Fragestellungen, die sich mit dem Thema Komplexitätsreduktion beschäftigen. Etwas einfach zu tun bedeutet oft, etwas auch auf einfache Weise zu tun. Aber etwas einfach tun zu müssen, ist auf der anderen Seite auch das Fehlen von persönlicher Freiheit. Wer entscheidet, was zu tun ist? Und wer entscheidet das für einen, für mich? Aber erst einmal genug des Ausflugs in die versteckte Welt des Golfs und auch jeder anderen Sache, der man mit Leidenschaft und Ernsthaftigkeit nachgeht, denn überall dort liegen Lernfelder und Analogien verborgen.

Die Aufgabe, die ich mir für heute gestellt habe, war eigentlich ganz einfach zu lösen: Eine konzentrierte Runde über die ganze Distanz von 18 Loch. Ich hatte mir ein klares, unter normalen Umständen gut erreichbares, Ergebnisziel gesteckt. Wenn ich dieses erreichen oder unterbieten würde, nur dann würde ich morgen auf dem West Links, dem unangefochtenen Platzhirschen des Ortes, abschlagen.

Ich hatte noch etwas über 2,5 Stunden Zeit, auf dem nahezu menschenleeren Platz meine Runde zu spielen. Der Platz ist voller wunderschöner Ausblicke auf die Nordsee, die hier steile Küste und den Bass Rock, der den Ort auf besondere Weise charakterisiert. Diese Vulkaninsel ist ein Paradies für Basstölpel und beherbergt die größte Kolonie der nördlichen Spezies dieses Vogels. Rund 150.000 Tiere leben auf diesem gigantischen Brocken vulkanischen Gesteins, der über 100 Meter hoch ist und wie eine Schirmmütze aus dem Wasser ragt, mit ein etwas gutem Willen sieht der Leuchtturm sogar aus wie das Swoosh eines gewissen Sportartikelherstellers.

 

Ein bisschen unnützes Wissen, das mir Herr Wiki gerade zugetragen hat: Der Cousin von Robert Louis Stevenson hat den Leuchtturm hier gebaut, was den Stevenson-Experten aber überhaupt nicht beeindruckt und lediglich mit den Schultern zucken lässt. Denn wie ja wohl jeder weiß, waren die Stevensons geradezu eine Leuchtturm-Errichtungs-Dynastie. Bei der Bedeutung phallischer Bauwerke im Leben seines Schöpfers wundert es doch nur noch wenig, dass Dr. Jekyll kleinere Probleme hatte, oder?
Schön ist es hier, da kann man sich schon mal in Gedanken verlieren, ich entschuldige mich in aller Form für meine Ausflüge. Zurück zum Golf!
Meine Aufgabe geriet bereits auf dem ersten Loch in Gefahr. Einerseits ist dieses relativ schmucklos und andererseits durch ein beherrschendes Element, das es in umgekehrter Weise mit dem 18. Loch teilt, doch recht interessant. Nach circa 230 Metern geht es steil ungefähr 20 Meter nach oben, da der Großteil des Platzes und auch das Grün der 1 auf einer Art Hochplateau liegt. Einige mir bekannte Mitspieler würden jetzt sagen, dass sie dann ja das Eisen 9 vom Abschlag gar nicht durchziehen können, da sie sonst im Anstieg liegen würden. Für mich war es ein guter, gerader Drive, und dann, mangels Alternative in meinem schmalen, lediglich aus sieben Schlägern bestehenden Satz, ein Eisen 7 zur Fahne. Dieses toppte ich jämmerlich in den Hang und von dort schlug er mal wieder zu, der Socket. Ich war kurz davor, mein Wedge zu verspeisen, dachte aber kurz über erneute Verdauungsprobleme nach und übte mich in Gelassenheit. Ich startete mit einem Triple-Bogey und war selbstverständlich bester Dinge und freute mich umso mehr auf die gestellte Aufgabe. Na, so ähnlich war es jedenfalls. Glücklicherweise wurde es fortan allerdings besser und ich langweile nicht länger mit dem Verlauf der Runde. Unter dem Strich blieb ich drei Schläge unter dem gesteckten Ziel und kam noch so gerade mit ausreichender Beleuchtung zurück zu meinem Gefährt.

Der Hunger trieb mich in den Ort und ich fand einen ganz ordentlichen Italiener, der auf jeden Fall bereit war, Carbonara ohne Sahne zuzubereiten. Hier stellt sich jetzt natürlich die Frage an einen der erwiesenermaßen besten Gastgeber Europas, der heute durch überraschende Verteidigung des hochprozentigen Milcherzeugnisses im Kommentarbereich auffiel: Machst du neuerdings Carbonara schön mit gekochtem Schinken und Sahne? Und hinterher einen Cappuccino mit Schlag? :-D

Übrigens: Jan Böhmermann, erzählte neulich in einer Ausgabe des amüsanten Podcasts fest und flauschig mit Oli Schulz, dass Carbonara gar kein originär italienisches Traditionsrezept sei, sondern auf amerikanische Soldaten im zweiten Weltkrieg zurückginge. Dem Team um Böhmermann wäre durchaus zuzutrauen, dass es mit einer solchen Idee das Internet infiltriert, um die Entstehung von fake news nachzuweisen, denn tatsächlich finden sich mehrere Quellen, die die These stützen. Sollte also eine der nächsten Folgen des neo magazins aufdecken, dass sie das getan haben: Ich habe es doch gewusst. Wenn das nicht passiert, dann reden wir nicht mehr darüber
Als kleine Reminiszenz an die schottische Umgebung hat das Restaurant die Caprese zur Vorspeise übrigens im Bierteig frittiert. Überraschend, nicht?

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