Ganz schön alt war das Ziel der heutigen Etappe und so langsam fing auch ich an, mich alt zu fühlen. Ich merkte, dass die Wochen, die hinter mir lagen, so langsam an den mentalen Kräften zerrten. Die ganz großen Herausforderungen, dachte ich, lagen hinter mir und wie so häufig waren die letzten 20% mal wieder ganz schön schwierig, Vilfredo Pareto grinst still vor sich hin.
Das Profil dieser Etappe war nicht ohne. Wenig Meter, nachdem ich Aberdeen hinter mir gelassen hatte, musste ich einige Kilometer teils ganz schön steil bergauf strampeln. Das vertrug sich mit meiner latenten Unlust nur mäßig. Aber auch heute war es wieder eine universelle Wahrheit: Ich würde nicht am Ziel ankommen, wenn ich nicht weiter eine Pedalumdrehung an die nächste reihte. Wenigstens buhlte die Umgebung hier nicht zu sehr um meine Aufmerksamkeit; zumindest in meiner Erinnerung war dieser Abschnitt eher schmucklos, was mir die Konzentration auf das Wesentliche, das Fortkommen ermöglichte. Mit dieser Konzentration war es dann aber jäh vorbei, als ich Stonehaven passierte: Der Anblick des dortigen Golfplatzes hat mich augenblicklich abgelenkt.
Kurz wägte ich ab, ob ich eine spontane Runde einschieben sollte, aber an einem sonnigen Sonntagmittag ist es bekanntlich nicht ganz so einfach, ein Runde Golf in einem Tempo zu spielen, dass sich auch nur andeutungsweise mit meiner Vorstellung von Spielgeschwindigkeit verträgt. Ich verweilte also ein wenig im dortigen Café, genoss den wunderschönen Blick über die erste Bahn und beendete die Lektüre von „Less“, ein Roman, der von einem wenig erfolgreichen Autor handelt, der seine verflossene Liebe auf einer kurzfristig anberaumten Weltreise zu verarbeiten sucht. Ein durchaus unterhaltsames Buch, aber ob es unbedingt mit etwas so Bedeutendem wie dem Pulitzerpreis ausgezeichnet werden musste, scheint mir persönlich fragwürdig.
Eine absolute Weltsensation, eine Innovation erster Güte, habe ich dann aber in Stonehaven noch völlig zufällig gefunden. Ich verließ den Golfclub mit dem Gedanken an Fish&Chips und beschloss, einfach an der nächsten, der erstbesten Bude anzuhalten, die mir diese Köstlichkeit zu bereiten bereit war. Kaum war der Gedanke formuliert, rollte ich auf das blau-weiße Schild der Carron Fish Bar zu. Das lief bestens, aber es sollte noch wesentlich besser kommen! Ich sprang förmlich vom Rad, lehnte es gegen ein Gitter und überquerte die Straße. Ich bestellte eine schöne, große Portion des britischen Äquivalents zu Currywurst-Pommes-Mayo und wartete, denn das gehört dazu, da Fisch und Pommes immer frisch frittiert werden. Ich erfreute mich noch an der plakatierten Information, dass der hiesige Fritteur mit einer Auszeichnung für Jungprofis der fettbasierten Küche dekoriert wurde, als plötzlich mein Blick auf eine andere Ankündigung fiel: Durch einen Zufall, einen göttlichen Plan war ich von allen Kaschemmen der ganze Welt ausgerechnet in diejenige Fischbar gekommen, die den – Trommelwirbel, Tusch! – frittierten Marsriegel erfunden hatte! Es konnte natürlich keinen Zweifel darüber geben, dass ich den haben musste. Auf die 1000, 1500 Kalorien konnte es jetzt auch nicht mehr ankommen, wenn man die Gelegenheit bekommt, Geschichte zu kosten.
War ganz okay.
Das Mittagessen mit der Hauptzutat Fett hat vermutlich auch ein wenig dazu beigetragen, dass ich nicht wesentlich lockerer auf die zweite Hälfte der Tagesstrecke ging. Immerhin war der Weg, auf den mich mein digitaler Co-Pilot schickte, spannend genug, um für Ablenkung zu sorgen. Ein schmaler und von großen Steinen gespickter sandiger Pfad führte mich mehrere Kilometer parallel zum Meer in Richtung Montrose. Vermutlich hätte mich das zu Beginn der Reise noch aus dem Konzept gebracht, aber mittlerweile hatte ich mein Reisemobil gut genug im Griff.
Gegen Ende der Tagestour machte sich dann zusätzlich zu dem recht ordentlichen Auf und Ab auch noch der kräftige Süd-West-Wind deutlich bemerkbar, der an den kommenden Tagen noch seinen Beitrag leisten würde. Insgesamt schien aber alles nicht so schlimm gewesen zu sein, denn kurz vor Montrose überlegte ich noch kurz, wie sich wohl mein bepacktes Rad in einer anderen Disziplin schlagen würde:
Ich entschied mich dann doch gegen das Experiment, zumal ich eh noch ein paar Meter querfeldein zu bewältigen hatte.
Auf dem Campingplatz wurde ich trotz später Störung überaus freundlich empfangen und in die infrastrukturellen Besonderheiten (es gab keine) eingewiesen. So nett bin ich mindestens seit dem pfeifenden Lawrence (HIER geht es zu dem damaligen Bericht) nicht mehr empfangen worden. Guter Dinge ging ich dann an den Aufbau des Zeltes und die Routine, die ich in den letzten Wochen dabei erworben hatte, war notwendig, denn allen Bäumen zum Trotz machte sich die offensichtliche süd-westliche Ausrichtung des Zeltplatzes stark bemerkbar.
Hm, auch wenn es heute eigentlich den Goldenen Berliner Ballen für den Tag geben müsste, überlege ich gerade, ob nicht viel zu viele Preise vergeben werden. Aber immerhin lese ich gerade, dass der größte amerikanische Präsident aller Zeiten trotz all der Errungenschaften seiner Regentschaft nicht den Friedensnobelpreis bekommen hat. Glückwunsch, Welt. Also haue ich ihn doch raus, den Ballen!
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