Lossiemouth und das nahegelegene Elgin hatte ich aufgrund einer früheren Tour vor allem durch zwei Dinge noch im Kopf: Ende April bekam ich dort nur durch erhebliche telefonische Beharrlichkeit irgendwann ein B&B-Zimmer und es gibt in Lossiemouth eine RAF-Standort, von dem aus regelmäßig Kampfflieger starten. Beide Erinnerungen sind in direkter Verbindung zueinander.
Als ich damals in der Region unterkommen wollte – wie auch diesmal weitgehend ohne vorherige Planung oder gar Buchung, welche Probleme sollte es im April schon geben? – war nämlich gerade eine internationale Übung auf dem Militärflughafen und eine mir bis dahin weitgehend unbekannte Spezies, die sogenannten Planespotter, waren über die Gegend gekommen. Deren Leidenschaft wird durch das fotografieren von Flugzeugen geweckt, wobei wohl der Sammlertrieb hier bedeutungsstiftend ist („F-40 habe ich noch nicht, willst du tauschen?“). Man sollte nicht über das Urteilsvermögen anderer Hobbyisten spotten, wenn man große Teile seiner Freizeit damit verbringt, einen kleinen, weißen Ball irgendwohin zu schlagen, nur, um ihm dann hinterherzugehen und ihn ein weiteres Mal zu schlagen, aber befremdlich kam mir das schon vor - man erinnere sich an die besorgten Schafe und deren Strategie. Aber zu den Flugzeugen kommen wir später noch mal.
Die heutige Etappe war ja nun dadurch speziell, als dass mein treuer, blauer Fortbewegungsgefährte sich im Antriebsbereich eine Unpässlichkeit zugezogen hatte, die ich mich nur murksend zu beheben in der Lage sah. Die Tagesplanung gab mir allerdings Auskunft über einen relativ einfachen und nicht allzu langen Abschnitt, das Wetter war phantastisch und ein gutes Frühstück konnte ich in dem kleinen Laden direkt am Hafen bekommen. Ich muss allerdings gerade schmunzeln, wenn ich daran denke, dass ich den Weg zu diesem Café, das direkt gegenüber der Campinganlage, nein, des „Holiday Parks“, lag, durch eine 10-minütige Radtour fand. Ich war wohl noch etwas mitgenommen von der schlaflosen Nacht, denn sonst kann ich mir nicht erklären, warum ich nicht den 30-sekündigen Fußweg über die Brücke gewählt habe, nur weil diese nur für Fußgänger ausgeschildert war. Wenn ich darüber nachgedacht hätte, wäre mir vermutlich eine kreative Lösung eingefallen. Schieben, zum Beispiel.
Dass das Tagespensum durch die nicht optimal funktionierende Gangschaltung bemerkenswert herausfordernder geworden wäre, daran kann ich mich nicht erinnern. Aber meine Fotosammlung lässt darauf schließen, dass ich recht guter Dinge gewesen sein muss, denn ich reduzierte die Sammlung von Gepäckgegenständen, die ich überflüssiger, weil unbenutzter Weise mitgenommen haben würde um ein Element. Ich befreite nämlich das kleine Stativ, dass ich eingepackt hatte, um gelegentlich Actionfotos von mir bei halsbrecherischen Schussfahrten an atemberaubenden Orten zu machen, aus seinem stofflichen Gefängnis. Nun, die atemberaubende Kulisse und die heroische Geschwindigkeit muss ich wohl der Phantasie des Betrachters überlassen, aber ich traue mich einfach nicht, dem Stativ sagen zu müssen, dass es völlig nutzlos war. Daher:
Dann kann ich mich noch daran erinnern, dass mich bei dieser Etappe ein sportlicher Ehrgeiz überkam. Wenige Kilometer vor meinem Tagesziel bogen zwei Rennradfahrer von der Hauptstraße auf meinen Weg ein. Sie waren im Plaudermodus und rollten nur dahin, aber das geht auf einem Rennrad immer noch schneller, als das Bewegen meines Lastentransporters. Aber nicht mit mir, nicht heute, nicht hier. Ich sah die Chance, die beiden einzuholen und ich wollte sie nicht ziehen lassen. Ich trat also noch in die Pedale, um Tempo aufzunehmen. Sie waren nur vielleicht 300 m von mir entfernt, das musste doch zu machen sein. Tatsächlich nahm ich wahr, dass ich nach jeder Kurve ein wenig näher kam. Und dann konnte ich tatsächlich zu ihnen aufschließen. Ein wenig peinlich ist es mir ja schon, dass ich bei einer solchen Tour derartigen Firlefanz zur Bestätigung der Leistungsfähigkeit meiner Beine benötigte, aber es war halt eine einmalige Gelegenheit… ich rollte also zwischen die beiden und um diesem Husarenritt (eine Formulierung, die mir aus unzähligen Tour de France Übertragungen in Erinnerung geblieben ist, und die mir hier unbedingt angemessen scheint) wenigstens irgendeinen sachlichen Grund zu geben, erkundigte ich mich bei den offensichtlich Ortskundigen, ob es im Ort wohl einen Fahrradladen gäbe. Nach ein wenig sachdienlicher Konversation und dem Austausch weiterer Höflichkeiten, versuchte ich dann möglichst unangestrengt zu wirken, als ich wieder antrat, um den beiden vorauszufahren. Mein mentaler Zustand muss an diesen Tag wirklich speziell gewesen sein. Oder ist spürte schon die kriegerische Explosivität in mir wirken, mit der ich wenige hundert Meter später konfrontiert wurde.
Zunächst konnte ich das seltsame, aber auf gar keinen Fall zu ignorierende Geräusch nicht einordnen. Dann nahm ich seltsame Laternen am Wegesrand, die mitten im Feld standen, wahr und ich erinnerte mich: Diese Leuchten erhellen den Start- und Landekorridor und dadurch die Piloten der Kampfflugzeuge beim hoffentlich glücklichen Versuch, ihre Boliden in die Luft oder wieder auf den Boden zu bekommen. Und tatsächlich waren gerade einige Jets im Begriff zu starten. Leider war ich etwas zu träge – ein Planespotter scheint nicht in mir zu sein -, aber wenn man ganz genau hinsieht, dann erkennt man am Ende der grauen Wolke einen Punkt. Das ist ein Flugzeug. Man kann kaum glauben, welchen Lärm dieser kleine graue Punkt verursacht, aber davon sollte ich mich heute noch hinlänglich überzeugen können.
Hinter der nächsten Kurve gab es schon den nächsten Grund, das Telefon aus der Halterung zu nehmen, um ein Bild zu machen. Was ich zunächst und eine ganze Zeit für das Zeltlager der angesichts der vielen startenden Flugzeuge offensichtlich ja wieder stattfindenden Militärübung hielt, war dann, als ich genauer hinsah etwas doch nur ähnliches: Es war ein Zeltlager für – Schweine. Meine landwirtschaftliche Erfahrung ist nun wirklich überschaubar, aber so war hatte ich noch nie gesehen. Sah eigentlich ganz gemütlich aus, aus der Perspektive eines radelnden Dauercampers.
Kurz danach war dann die Radtour für heute beendet. Eine kleine Überraschung erwartete mich noch, als ich für den Campingplatz in Lossiemouth, der nicht nur direkt neben dem Golfplatz lag (gut!), sondern auch ebenso direkt unter dem Startbereich der Kampfflugzeuge (viel, viel weniger gut!), 22 € pro Nacht für mein kleines Zelt zahlen musste. Wenn man dann noch bedenkt, dass der Platz fast leer war und erhebliche Gebrauchsspuren der Sommersaison aufwies, dann war das ein wirklich erstaunlicher Betrag. Na ja, die Auswahl war gering und ich hatte auch keine Lust mehr, noch in den Ort zu fahren, um ein B&B zu suchen. Denn ich wollte noch eine Runde Golf in den Tag quetschen, doch davon sei im nächsten Artikel erzählt.
Mein stolzes Stahlross hat wacker durchgehalten und sogar den Sieg in einem Rennen davongetragen – das außer mir wirklich niemand als Rennen betrachtete. Aber da ich mich auf dieser Reise ja ohnehin in Don Quixotscher Tradition sehe… was soll’s? Daher und weil der Tag durch die Nähe zu den Top Guns ohnehin treibstoff- und adrenalingetränkt war, gibt es den Dom-Torretto-Award, denn: „Ask any racer, any real racer. It doesn't matter if you win by an inch or a mile, winning's winning.“