Eine fürchterliche Nacht leitete diesen durchaus bekömmlichen Tag ein. Mal wieder eine Metapher für’s Leben.

Kräftiger Wind, zudem böiger Art in Meeresnähe, und prasselnder bis schüttender Regen ergeben, vor allem, wenn man sie mit einem Zelt kreuzt? Richtig, eine nahezu schlaflose Nacht. Da helfen weder Ohropax noch entspannende Atemübungen: Das Ein- und Durchschlafen in einem permanent sich bewegenden Zelt ist vor allem für den erst angehenden Gewohnheitscamper eine schwierig zu meisternde Aufgabe. Ich bin dann leider auch an ihr gescheitert, auch wenn sich irgendwann gegen 2, 3 Uhr doch etwas ruhigerer Starkregen und quälende Müdigkeit zu einem halbwegs brauchbaren Schlafmittel mischten. In der Zeit davor allerdings war das erst spät eintreffende Paar im Nebenzelt ein helles Licht und trockenes Handtuch im Nassen und Dunklen. Sie kamen erst an, als der Regen sich schon eine ganze Zeit zu Höchstform aufgeschwungen hatte. Ich hatte ja schon meine Not damit, nur im Zelt zu liegen, aber die beiden mussten halt das ihre noch aufbauen. Das schien ihnen aber nicht so richtig viel aus zu machen, denn sie kicherten die ganze Zeit fröhlich vor sich hin. Scheinbar hatten sie den Aufbau irgendwann vollbracht, aber sie hatten ähnliche Herausforderungen wie ich. Jedoch war es für mich ziemlich erheiternd und erleichternd: Die Beiden hatten die für mich ja bereits untergegangene Welt ja noch gesehen und dennoch konnten sie lachen. Entweder waren sie also komplett verrückt oder die Welt stand noch einigermaßen dort, wo ich sie hinterlassen hatte.

Am nächsten Morgen war dann alles wieder ruhig, bemerkenswerterweise war auch der Campingplatz in keiner Weise vom Regen beeinträchtigt worden. Ich kam mit den beiden Lachmachern (den Fips Asmussen Preis hatte ich dieser Tage schon vergeben, oder?) ins Gespräch und sie stellten sich auch bei Tage als äußerst amüsant heraus. Zwei Nord-Iren, die seit geraumer Zeit in London leben und nun ihren Urlaub mit einer Rundreise in Schottland verbrachten und als nächstes das wunderbare Tal von Glencoe ansteuerten – werde ich diesmal nicht schaffen, aber bei nächster motorisierter Gelegenheit auf jeden Fall mal wieder. Nun, wir verabschiedeten uns kurze Zeit später und wünschten uns eine bessere für die kommende Nacht.

Ich sattelte kurze Zeit später mein stählernes blaues Ross und ritt noch schnell zum nächsten Saloon, um Proviant für den Tag zu erstehen und ein reichhaltiges Frühstück einzunehmen. Wieder mal trödelte ich hierbei ein wenig herum. Diesmal sollte der um ca. eine halbe Stunde verzögerte Aufbruch allerdings Konsequenzen haben.

Eine trat unmittelbar ein. Als ich das Gebäude verließ und gerade meinen Proviant verstaut hatte, fing es plötzlich noch einmal sturzbachartig zu regnen an. Das war ja gerade nochmal gut gegangen, denn eine längere Radtour direkt mit komplett durchnässter Kleidung zu beginnen – da hilft auch GoreTex nichts – ist einfach unschön.

Es folgte dann ein radfahrerisch eher interessanter Start in den Tag, denn der Weg führte mich durch recht unwegiges Gelände mit enormen Höhenunterschieden. Aber immerhin war der Weg völlig autofrei. Gerade, nachdem ich diesen Abschnitt von vielleicht einer Dreiviertelstunde hinter mich gebracht hatte, schlug dann Konsequenz Nummer 2 zu. Ich wunderte mich sofort über die lange Schlange an Autos, die ich passierte. Das kann zwar hin und wieder mal hier passieren, wenn z.B. eine Schwenkbrücke geöffnet wird. Aber dass ich minutenlang an einer solchen Schlange vorbeifuhr, das musste etwas Spezielles bedeuten. Je näher ich dem Anfang der Schlange kam, desto mehr zum Stehen verurteilte Fahrer waren bereits zu Fuß unterwegs, um dem Grund für die Zwangspause auf den eben jenen zu gehen. Ganz vorne begegnete ich dann Evelyn, die mich direkt darüber aufklärte, dass wohl ein LKW die Pfeiler der Brücke touchiert hätte und nun mit umfangreichen Prüf- und ggf. Reparaturarbeiten begonnen werden würde. Also eigentlich gab es zu diesem Zeitpunkt hiervon noch keine Spur, sondern lediglich die polizeiliche Sperrungstätigkeit war im Gange. Es fing dann wenige Augenblicke später wieder zu regnen an und Evelyn lud mich und eine ältere Dame, die zu Fuß unterwegs war, äußerst freundlicher Weise in ihr trockenes Auto ein. Und hier saßen wir dann. Geraume Zeit. Das dürfte ein sehr gutes Beispiel für die Redensart „Vom Regen in die Traufe kommen“ sein; es handelt sich hier ja um den interessanten, wenngleich auch vielleicht nicht so seltenen Fall, dass der erste Teil tatsächlich eingetroffen war (Regen!), der zweite aber nur auf der Bildebene. Das wäre also so, als hätte man einen Spatz in der Hand, aber vielleicht lieber einen Welpen gehabt. Übrigens habe ich es gerade nachgetippt: Die Traufe ist die Stelle eines Daches, an der der Regen abläuft. Häufig, aber nicht zwangsläufig ist diese Stelle durch eine Dachrinne unterlegt, um das Wasser zu sammeln. Dann ist es aber nicht mehr so ganz zum Sprichwort passend. Interessant auch der Unterschied zwischen Trauf- und Giebelständigkeit. Aber auch nicht interessant genug, um es hier weiter auszuführen.

Ganz klar: Dieser Sperrung wäre ich bei zeitigem Aufbruch in jedem Fall entkommen. Andererseits wäre ich auch gleich zweimal so richtig nass geworden. Das war sicher keine Beweis, aber doch immerhin ein treffendes Beispiel dafür, dass Prokrastination manchmal auch zu etwas Gutem führt. Vor allem, da sich nach ca. einer Stunde herausstellte, dass diese Brücke zunächst einmal wohl nicht einstürzen würde und daher wieder freigegeben wurde. So gesehen waren meine Ausführungen zum Sprichwort mit der Traufe völlig unnötig, da es sich ja gar nicht um eine Verschlimmerung der Situation handelte.
Als vollgepackter Radreisender hatte ich dann das Privileg, als erstes und einziges Fahrzeug die Brücke zu passieren. Hm, vielleicht haben die sich auch gedacht: Lass den Trottel mit den Golfschlägern auf dem Rad mal testen, ob es hält. Jedenfalls hielt es und ich konnte meinen Weg gen Fort William fortsetzen.

Mal wieder vom National Cycle Network begleitet und ausgeschildert gab es hier ganz wunderbare Radwege, die auf diesem Abschnitt noch nicht einmal mit zum Absteigen zwingenden Gattern, sondern mit jugendstil-imitierenden Aufstellern, die man sogar einigermaßen leicht durchkurven konnte, ausgestattet waren.


Ich hatte im Vorfeld öfter gehört und gelesen, dass der Weg nach Fort William für Radfahrer ziemlich anstrengend sei, da dieses Oberzentrum nur auf einer entsprechend vielbefahrenen Landstraße angefahren werden kann. Lange habe ich auf dem Weg noch gedacht, dass es so übel ja nun auch nicht sei, dann aber, ungefähr 10 km vor Ankunft, wurde es aber doch recht unangenehm Die beiden netten Radfahrer, mit denen ich auf der Fähre nach Kintyre saß, hatten mir noch ausführlich erklärt, wie man mittels zweier Fähren diesen Teil vermeiden kann und auf der anderen Seite des Loch Linnhe ziemlich ruhig dahinradeln kann. Leider hat dieser Plan durch den Brückenvorfall nicht geklappt. So gab es also wenigstens eine kleine Traufe ;-) Dann wiederum war das Wetter phasenweise sehr gut und die Ausblicke toll.

Schließlich ereignete sich noch etwas, dass die alternative Route nicht aufzuweisen gehabt hätte. Scheinbar hat sich so langsam in Schottland herumgesprochen, dass da einer mit Golfschlägern auf dem Rad versucht, sich durch das Land zu schlagen. Scheinbar hat das eine regelrechte Euphorie ausgelöst: Kurz vor der Einfahrt nach Fort William passierte mich ein Fahrzeug, aus dessen heruntergelassenen Beifahrerfenster sich eine Dame lehnte und mich jubelnd anfeuerte und sich darüber zu freuen schien, endlich den cycgo-Typen getroffen zu haben. Das musste ja irgendwann so kommen. Kurz überlegte ich, ob ich mich im sicher bald zu drehenden Film „cycgo – Der Film“ selber spielen sollte, dann fing es aber wieder an zu regnen und ich fuhr wieder konzentriert weiter zum Zeltplatz am Fuße des Ben Nevis. Das ist die höchster Erhebung der Britischen Insel. Entsprechend viele Outdoorfreunde gibt es hier natürlich und dieser Zeltplatz ist entsprechend auch sicher 10 mal größer als die bisherigen Anlagen.

Nach dem Verlassen der Rezeption musste ich dann die Hoffnung auf den schnellen Verkauf der Filmrechte aufgeben, aber dafür hatte ich sehr unterhaltsame Menschen für die Abendgestaltung gefunden. Die Lachmacher der vorherigen Nacht hatten ihren Weg durch Glencoe ebenfalls am Ben Nevis beendet und sie waren es, die mich kurz vor Fort William überholt hatten und ihrer Begeisterung über das Wiedersehen Ausdruck verliehen. Sie schlugen ihr Zelt unweit von meinem auf. Es wurde ein vergnüglicher Abend!

Die cycgo-Wertung ehrt heute das Vertrödeln von Zeit: 8 von 10 leeren Sanduhren!

Kommentare   

#1 Stefan 2018-09-03 10:25
Mein lieber Heiko,

habe soeben meine Projektmittagspause genutzt, um hier mal ein bisschen zu stöbern. Und muss zugeben, dass ich gerne noch den Nachmittag damit zubringen würde. Toll geschrieben, du solltest das professionell machen!

Ich bin schon ein wenig neidisch auf Dich, wenn ich hier so im 9. Stock im Münchener Tower so auf die Welt blicke: Du bist ja mitten im Leben und ich durch eine Glasscheibe von selbigem getrennt. Das ruft nach Veränderung!

Wanderer - führt Dich Dein Weg nach Hamburg, so stehen Dir meine Zelte immer offen! Und bis dahin schaue ich sicher bald mal wieder virtuell hier vorbei.

LG

S.

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