Über mich

Wenn es heute wieder nicht klappt, dann nehme ich mir ein Taxi für den Rest des Weges oder lasse mich von einem Tandemfahrer mitnehmen. 30 km trennten mich gerade noch von St. Andrews, der Geburtsstätte des modernen Golfsports und dem Geburts- und Todesort des Gottvaters des Spiels: Old Tom Morris.

Der Wind war immer noch erheblich, kam immer noch aus der gleichen Richtung, aber doch deutlich schwächer als am Vortag. Ansonsten war der Himmel mal wieder prächtig. Ich hatte schon insgesamt sehr viel Glück bisher mit dem Wetter. Natürlich gab es einige Male Regen, der mich auch gelegentlich traf, wenn ich auf dem Platz oder der Strecke war, aber es gab bisher keine Phase, in der es mehrere Tage durchregnete. Selbst mehrere Stunden Dauerregen habe ich nur erlebt, wenn ich ohnehin im Zelt war. Das war zwar nicht großartig, erforderte etwas mehr Mühe beim Einpacken am nächsten Tag, aber zum Drama reichte das nie.

So fuhr ich also auf Dundee zu und konnte die Tay Road Bridge, die mich, man ahnt es schon, über den Firth of Tay bringen würde, schon von weitem sehen. Davor gab es aber noch einen relativ originellen Teil für Radfahrer zu passieren. Die National Cycling Route 1 führt direkt durch das Hafengelände. Um aber auf diesen Weg zu gelangen, muss man am Torwächter vorbei. Das ist in diesem Fall allerdings nicht Sigourney Weaver und der Schlüsselmeister muss auch nicht einbezogen werden. Vielmehr sitzt der Wächter in einem ca. 50 Meter entfernten Häuschen. Die Gesten des Herrn über den Schließmechanismus konnten heißen: a) Komme bitte her (Winken) und lass mich einen Blick auf deinen Ausweis werfen (wiederholtes Zeigen auf die Augen), dann öffne ich dir das Tor (Zeigen auf das Tor, vor dem mein Rad steht) oder b) Bleib bitte da, halt deinen Ausweis vor die Kamera und dann öffne ich das Tor. Ich habe mich für a) entschieden. B) hingegen wäre richtig gewesen. Wenn ich das nächste Mal mit dem Fahrrad durch den Hafen von Dundee möchte, dann weiß ich das schon mal. Ähnlich knifflig und gleichermaßen lösbar war dann ein paar Minuten später die Aufgabe, den für Radfahrer vorgesehenen Weg über die Brücke zu finden. Hier gibt es einen gesonderten Aufzug, der – und das ist wirklich einer besonderen Erwähnung wert – tatsächlich lang genug war, um mein gesamtes überlanges Gefährt aufzunehmen. Ziemlich speziell und erinnerungswürdig war dann auch der Pfad über die Brücke: Ein langer, gerader Fahrradweg (okay, es hätten auch Fußgänger dort zu finden sein können) in der Mitte zwischen den Fahrspuren für den motorisierten Verkehr. Eine sehr entspannte Fahrt.

Danach wurde es nochmal ein paar Kilometer etwas weniger entspannt, da ich die relativ schmale Straße mit überdurchschnittlich viel Güterverkehr teilen musste. Doch dann näherte ich mich auch schon dem Golferhimmel. Ich wusste von früheren Stippvisiten, dass ich etwas aufpassen musste, um den direkten Weg zum weltberühmten Road Hole, dem Vorschlussloch auf dem Old Course, zu finden. Tatsächlich führt vom Old Course Hotel, diesem hässlichen, aber luxuriösen gelb-braunen Kasten, nur ein Fußweg hierher, aber der kleine Bordstein konnte mich dann doch nicht aufhalten.

 

Ich fuhr mit meinem Rad direkt über das 18. und 1. Fairway. Das ist nicht auf meine Rücksichtslosigkeit zurückzuführen, sondern auf die Tatsache, dass dort einfach eine öffentliche Straße durchführt, die lediglich an den beiden Enden von zwei aufmerksamen Herren beobachtet wird, die einem freundlich Zunicken, wenn kein Ballflug in Richtung des eigenen Gefährts zu befürchten ist.
Insbesondere für Golfer, die nicht nur gelegentlich einen Schläger in die Hand nehmen, sondern sich auch ansonsten mit dem Sport befassen, ist dieser Ort hier einfach ein Erlebnis – ich glaube aber, dass auch weniger am Sport Interessierte spüren, dass das hier ein besonderer Ort ist. Das Clubhaus des Royal and Ancient Golf Clubs, das so ikonisch hinter dem ersten Abschlag thront, optisch daneben, doch tatsächlich nach hinten versetzt, die rote Hamilton Hall, früher ein Hotel, dann Universitätsgebäude und heute eine Appartementhaus der exklusiven Art, der Starterpavillion neben dem ersten Tee, die leicht erhöhte Terrasse dahinter, auf der garantiert immer 10, 20, 30 Beobachter herumstehen, die den gerade Abschlagenden zusehen und die Häuserreihe am rechten Rand der 18. Spielbahn: All das ist so sehr ins kollektive Golfgedächtnis eingesickert, dass es so ist, als würde man einen alten Bekannten treffen, selbst wenn man noch nie vorher hier war.
Dieses Gefühl ergreift augenscheinlich von allen Besitz, die hier abschlagen. Es gehört zu den üblichen Beschreibungen von Golfrunden, dass am ersten Tee alle fürchterlich nervös sind. Alles, was auch nur im Entferntesten dazu taugen könnte, die Erwartungen der anderen Mitspieler zu senken, wird noch mal schnell erzählt. Klassiker sind die durchzechte Nacht, Rückenschmerzen und die Arbeitsbelastung der letzten Monate („Ich habe noch keine einzige 18 Lochrunde in diesem Jahr gespielt…“). Hektisch wird hier gekramt und dort gezuppelt, endlose Wortschwalle werden ausgegossen. Manchen Spielern kann man fast körperlich beim Verfall zusehen, wenn sie den Ball am ersten Loch aufteen – und das gilt für eine ganz normale Golfrunde. Am ersten Tee in St. Andrews wird dieses Gefühl vervielfacht. So viele Übersprungshandlungen: Schuhe binden, lieber mehrfach, Tees suchen, finden, fallenlassen, die Jacke, die gerade noch aus der Tasche gezogen wurde, doch lieber wieder zurückstopfen, noch mal kurz auf das Übungsgrün neben dem Abschlag, ein paar Putts versuchen, sobald aber der erste danebengezittert wurde lieber wieder den Ball aufheben und zurück zum Starter. Für den unbeteiligten Beobachter ist das ein Riesenspaß, vor allem, wenn man die Leiden des ersten Abschlags zu Genüge selber kennt. Ich stand eine halbe Stunde neben dem Abschlag und beobachtete die Losziehenden. Bei aller zur Schau gestellter Nervosität bleiben mir aber vor allem die beiden Spieler im Kopf, die von alldem gar nichts zeigten. Die beiden waren von solch natürlicher Lässigkeit und Souveränität. Ich schätze, dass sie sich ungefähr in der Mitte ihrer sechsten Lebensdekade befanden. Beide waren offensichtlich gut trainiert, als Sportler und als Golfer. Die Probeschwünge, die zum Aufwärmen gemacht wurden, waren von beeindruckend ruhigem Rhythmus und ließen jedes Anzeichen des häufig zu sehenden Versuchs, noch vor dem ersten Abschlag etwas Grundlegendes im eigenen Schwung zu finden und zu verbessern, vermissen. Auf dem Puttinggrün hatten beide eine klare Routine und vertrieben sich nicht nur die Zeit vor dem Abschlag. Sie zeigten eine Qualität bei den Probeputts, die ich so nur selten gesehen habe. Als es für die beiden dann daran ging, tatsächlich abzuschlagen, waren sie auch dabei die Ruhe selbst und schlugen unaufgeregte und sichere Drives in Richtung des Swilcan Burns, der das erste Grün vom gigantisch breiten und dennoch für viele so einschüchternden Fairway trennt und gingen dann in aller Ruhe hinterher. Keine Ahnung, ob es sich bei den beiden um ehemalige Profis handelte, aber die Ausstrahlung hatten sie in jedem Fall. Ein Genuss hierbei zuzusehen.
Ich rollte ein paar hundert Meter weiter, am Himalaya-Puttinggrün -wie der Name schon andeutet: Es ist riesig- vorbei, der Heimat des St. Andrews Ladies Putting Clubs, das auch öffentlich zugänglich ist. Dahinter liegt dann das St. Andrews Links Clubhouse, das im Unterschied zu dem Clubhaus des R&A, das doch eher für rigide Türpolitik bekannt ist, auch tatsächlich für die spielenden Golfer konzipiert und geöffnet ist. Von hier aus kann man dann auch direkte auf zwei anderen Plätzen die Runde beginnen: Dem New-Course, mutmaßlich der älteste New-Course der Welt, 1895 gebaut, und der Jubilee, der lange nur als 9-Loch-Platz für Anfänger genutzt, aber 1988 in einen weiteren Championship-Platz verwandelt wurde. Ich erkundigte mich kurz beim Starter des Jubliee nach der Auslastungslage für den Nachmittag, die erwartungsgemäß ziemlich entspannt war.
Also fuhr ich nun zum Campingplatz, der wenige Kilometer außerhalb von St. Andrews lag, errichtete meine textile Heimstatt und fuhr direkt wieder zurück.

 

Als ich gegen 15 Uhr wieder den Weg quer über den Platz nahm, war spürbare Ruhe eingekehrt. Ich habe mich nicht davon überzeugt, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es nicht möglich gewesen wäre, jetzt auch auf dem Old Course zu spielen. Es ging so gut wie keine Spielgruppe mehr auf die Runde.
Um diese Möglichkeit wird gerne recht viel diskutiert unter Golfern. Im Prinzip gibt es vier offizielle Varianten: Entweder man bewirbt sich für die gewünschte Abschlagszeit in einem Zeitraum von 14 Tagen des Vorjahres oder man nimmt an der täglichen Verlosung von freien Startplätzen für den übernächsten Tag teil oder man bucht eine sehr teure Reise bei einem bestimmten Reiseveranstalter oder man stellt sich sehr früh am Morgen am Starterhäuschen an und kommt auf eine Warteliste für den Tag. Darüber hinaus hört man davon, dass der eine oder andere B&B-Vermieter mit seinen Gästen schon auf den Platz gegangen ist.
Ich jedenfalls wollte mit meiner derzeitigen Golfkrise nicht den von Jahrhunderten und Abertausenden von Golfern geadelten Boden zum ersten Mal bespielen und erwog daher nicht einmal, ob und wie das wohl möglich wäre. Stattdessen zog es mich zum New Course, der gelegentlich als der Favorit der Einheimischen beschrieben wird. Vermutlich, weil der alles überstrahlende Nachbar und große Bruder einfach üblicherweise zu voll ist. Zu dieser Runde, einem Grab und der Hölle dann mehr im nächsten Artikel.

Der heutige Tag bekommt den Barte des Propheten Old Tom Morris. „So ein Bart!“ (Regieanweisung: Deutet mit den Händen die Länge des Bartes an).

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