Eine ruhige Nacht und echte Vorfreude auf die nächste Runde folgten. Der North Berwick West Links ist eine Institution. Ich halte nicht so wahnsinnig viel von Golfplatzranglisten, aber eine (vermutlich aber letztlich doch werbefinanzierte) der bekanntesten Listen, die der Zeitschrift Golf Digest, führt diesen Platz in der Welt-Liste, die alle Plätze außerhalb der USA berücksichtigt, immerhin auf Platz 25.

Viel spannender sind aber andere Geschichten, die man über den Platz und den Club berichten kann. Bei meinem letzten Besuch war es so, dass ich am 18. Grün, nach einer eher durchwachsenen und verregneten Runde, von einem Mitarbeiter des Clubs empfangen wurde, der sich sehr interessiert am Verlauf meiner Runde zeigte. Er bat mich ins Clubhaus und führte mich dort herum. Das wäre alleine ja schon erwähnenswert genug. Aber sehr gut war die von ihm erzählte Geschichte, die ich nun einfach mal als wahr annehme: Der ehemalige britische Premierminister A.J. Balfour, war Mitglied des North Berwick Golfclubs. Ich wurde in das ehemalige Clubhaus geführt, das nunmehr ein einzelner Raum des heutigen Clubhauses ist und man erzählte mir, dass Balfour genau dort seinerzeit gelegentlich seine Kabinettssitzungen abgehalten hat. Als ich die Geschichte vor drei, vier Jahren hörte, fand ich sie äußerst amüsant. Jetzt muss ich daran denken, dass man in 100 Jahren das Gleiche über den Bedminster Golfclub in New Jersey wird erzählen können. Unwahrscheinlich ist allerdings, dass andere Zeitgenossen über den dort verkehrenden bedeutenden politischen Führer der Gegenwart mal schreiben werden, dass dieser der feinste Geist sei, der sich in unserer Zeit der Politik zugewandt hat. So jedenfalls beschrieb Lord Birkenhead, ein guter Freund Churchills, großer Trinker und damit Weltbürger, Balfour.
Auch spannend die Geschichte des Tom Morris Gespanns, Old Tom und Tommy. Auf die Gräber der beiden in St. Andrews gab es vor Kurzem schon einen Blick. Und auch das Buch, aus dem die folgende Geschichte stammt, habe ich schon erwähnt: Tommy’s Honor. Die beiden Morrisens spielen gegen zwei andere Golflegenden der Zeit, Willie und Mungo Park, ein Match auf eben diesem Platz in North Berwick, Luftlinie vielleicht 35 Kilometer von St. Andrews entfernt, aber durch den Firth of Forth voneinander getrennt. Das Match steht auf Messers Schneide, doch viel steht auf dem Spiel: Die Ehre. Insbesondere die von Old Tom, der im späten Herbst seiner riesenhaften Golfkarriere steht, Phil Mickelson weiß, wie sich das anfühlt. Kurz vor Ende des Spiels, zwei Löcher vor Schluss, erreicht ein Telegram Old Tom: Tommy möge umgehend nach Hause kommen, denn seine hochschwangere Frau Margaret wäre von schweren Komplikationen gezeichnet. Old Tom entscheidet nun allerdings, dass sie nun so oder so nicht rechtzeitig nach Hause kommen würden und verheimlicht die Nachricht vor Tommy in der Hoffnung, wenigstens das Spiel zu gewinnen. Nach dem Spiel beeilen sie sich, per Fähre auf direktem Weg nach Hause zu kommen. Doch leider zu spät: Margaret und das Neugeborene sind tot. Tommy stirbt wenige Monate später. Die offizielle Todesursache war eine Lungenblutung die zu Atemstillstand führte, doch die Legende berichtet von einem jungen Mann von 24 Jahren, der an gebrochenem Herzen gestorben ist. Aber immerhin haben sie das Match gewonnen.
Die dritte und die vierte Geschichte, die man über den Platz in North Berwick noch erzählen muss, betreffen tatsächlich die Architektur der Spielbahnen. Das 15. Loch des Platzes gilt als das meistkopierte Loch der Welt. Es trägt den Namen Redan und wird dadurch gekennzeichnet, dass das Grün des Par 3 nach hinten hängt, also schräg nach hinten abfällt. Dazu kommt noch, dass es blind gespielt wird, also bei den meisten Fahnenpositionen keine Sicht auf die Fahne zulässt. Das 13. Loch, mit dem Namen Pit, bleibt sicher lange im Gedächtnis: Nach einem Drive auf die rechte Seite des Fairways muss der Schlag zur Fahne über eine Mauer gemacht werden, die das Grün vollständig bewacht und zudem den Strand vom Platz trennt. Sehr spektakulär!

Ich fuhr morgens zum Starterhäuschen und fragte nach der Möglichkeit an diesem Tag dort zu spielen. Das sollte zu machen sein, sagte man mir, und bat mich, um viertel vor elf wieder dort zu sein, man würde mich dann mit meinem Mitspieler bekannt machen. Ich tat, wie mir geheißen und rollte auf ein Frühstück von dannen. Als ich wieder zurückkam, machte ich meine Utensilien bereit und ein freundlicher Herr kam auf mich zu und erkundigte sich enthusiastisch nach meinem Rad und der Kombination mit den Schlägern.

Wir plauschten ein paar Minuten und glücklicherweise stellte sich schnell heraus, dass er auch mein Mitspieler sein würde, denn wir hatten sofort einen angenehmen Gesprächsrhythmus gefunden. Wir dachten, dass wir zu zweit seien, aber kurz bevor wir zum Abschlag gerufen wurden, wurde ein weiterer Spieler zu uns gebeten. Der erste, G.J., vielleicht Ende 50, kam aus Colorado, wenn ich mich recht erinnere und hat vor kurzem seine Skisport-Kette, die er 30 Jahre betrieben hat, an eine der großen Ketten in den USA verkauft. Jetzt arbeitet er noch für eine Transitionsphase als Berater. In Schottland war er, weil er seine Tochter zum Studieren her gebracht und nun noch eine größere Runde durch das Home of Golf an die Reise gehängt hat. Er war einer derjenigen Golfer, mit denen man einfach gerne spielt. Er konnte reden und zuhören und zudem auch noch eine prima Kugel schlagen. Brandon hingegen hatte eher mein Alter, vermutlich war er sogar etwas jünger. Er war ganz augenscheinlich ein athletischer Typ und hatte ebenfalls ein gerüttelt Maß an Golferfahrung. Eigentlich ist das eine starke Untertreibung: die beiden waren hocherfahrene Golfspieler mit Handicap 5 und 2, die seit ihrer Kindheit Golf spielten. Was war diese Runde für ein Spaß! Vor unter hinter uns waren die typischen amerikanischen Touristengruppen, die aus jeweils vier Spielern und vier Caddies bestanden. Besonders schnelles Spiel war also nicht zu erwarten. Aber das war heute auch weder der Plan, noch fiel es besonders auf. Wir hatten eine wunderbare Zeit oder zumindest kann ich das für mich zusammenfassen. Was mich vermutlich ein wenig genervt hätte, wenn ich alleine gewesen wäre, war so äußerst unterhaltsam: Alle paar Löcher tauchte ein Marshall auf, der auch tatsächlich ordnend und Auskunft gebend ins Spiel eingriff. Schon auf dem Grün der ersten Bahn gab er mir einen perfekten Hinweis zur Spielrichtung des Putts, der zwar nicht ganz zum Birdie reichte, aber das Par war danach kaum noch Formsache. Auf dem Abschlag der zweiten Bahn erzählte er uns dann von Phil Mickelson, der einst auf der gegenüberliegenden 16 den Abschlag bis an den Rand des Grüns transportiert hat, um von dort einen 5-Putt zum Doppelbogey zu machen. Als wir dreieinhalb Stunden später dort ankamen, erinnerten wir uns sofort wieder an die Geschichte. Das Grün hat ein Relief, das mich spontan an einige der zurückliegenden Radetappen denken ließ: Es besteht aus drei Teilen, nämlich zwei Ebenen auf gleicher Höhe, die durch einen ungefähr einen Meter tiefen Graben voneinander getrennt sind. Wenn man auf der vorderen Ebene liegt und die Fahne ist auf der hinteren, dann kann eigentlich alles beim Putt passieren, da es auch ohne Anstrengung möglich ist, auf jeder Seite wieder vom Grün herunterzuputten. Ein wahrhafter Spaß! Ich nehme an, dass es sich bei der genannten Runde von Mickelson um den Open Qualifier 1992 handelte; dort ist er jedenfalls nicht im Hauptfeld zu finden und lustigerweise findet sich auf der Website des Golfautors Geoff Shackelford ein kleiner Hinweis darauf, dass sich Phil an das Ganze noch gut erinnern kann, auch wenn er nicht so direkt von dem Desaster berichtet: Auf die Frage, wann er denn das erste Mal in Schottland Linksgolf gespielt hätte, erinnert er sich an North Berwick, an die 15, Redan, und explizit an das Grün des 16. Lochs :-) LINK.


Tatsächlich ist es so, wie es uns der Caddie einer anderen Spielgruppe auf dem 14. Abschlag gesagt hat: Der Platz fängt dort so richtig an. Das Loch trägt den Namen Perfection und G.J. und ich durften Zeugen werden, wie das wohl auch gemeint gewesen sein könnte. Beim Abschlag wusste Brandon wohl nicht, wie das Loch heißt, denn er verzog seinen Abschlag völlig nach rechts in einen Bunker, der eigentlich eher zur vierten Bahn daneben gehörte. Wenn man in diesem Bunker liegt und das Grün der 14 zum Ziel hat, dann heißt es: Stolz vergessen und mit einem Sandwedge irgendwie wieder auf das Fairway zurückschlagen, denn der Bunker dürfte ungefähr 2 Meter tief sein. Doch plötzlich schien Brandon jemand den Namen des Loches in Erinnerung gerufen haben, denn er schlug von dort immerhin noch ungefähr 135 Meter über einen Hügel, bis knapp zwei Meter vor das Grün, machte von dort natürlich einen ebenfalls perfekten Putt über 15 Meter und der Par-Putt lag nur 10 cm von der Lochkante entfernt. Grandios! Über die 15 habe ich schon geschrieben. Schade, dass wir uns dort alle beim Putten etwas unglücklich anstellten, obschon das nicht nur unserem Putten sondern auch dem äußerst anspruchsvollen Grün geschuldet war, denn unsere Schläge vom Tee waren allesamt ziemlich gut. Die 16 ist ein echter Test, denn es geht über eine Mauer und einen Wassergraben in ungefähr 200 Meter Entfernung und dann erst kommt ja noch das beschriebene Wahnsinnsgrün. Die 17 ist wiederum eine knifflige und spannende Sache, denn nach einem hoffentlich guten Abschlag hat man immer noch einen relativ langen Schlag, der zudem gegen Ende seiner Flugbahn noch ungefähr 15 Meter Höhe haben muss, da dort das Grün liegt und davor ein wirklich hässlicher Bunker. Wir spielten alle Par, was hier wirklich bemerkenswert war. Den Abschluss bildet ein zwar kurzes, aber sehr schönes Loch, das durch den nahen Parkplatz auf der rechten, die Spielbahn der 1 auf der linken Seite und dem Clubhaus hinter dem Grün noch ganz spezielle Perspektiven hat. Brandon meinte noch, dass sein Mietwagen der erste in der Reihe wäre, aber wir blieben alle halbwegs gerade, vermieden jeglichen Glasbruch und spielten die Runde angemessen zu Ende.

Man merkt es schon: Die letzten beiden Runden auf schottischem Boden im Rahmen dieser Reise haben mich vollständig wieder mit Golf versöhnt und ließen mich mit dem Lächeln zurück, das jeder Golfer trägt, nachdem er gerade eine der Runden gespielt hat, von denen er annimmt, dass er sie permanent spielen sollte, müsste, könnte.

Auf dem Weg zu meinem Rad kam noch einmal der Starter auf mich zu und bedankte sich herzlich dafür, dass ich auf meiner Reise in North Berwick Halt gemacht habe. Der Dank war ganz meinerseits!

Ich denke, dass es angemessen ist, dass dieser Tag und diese beiden Runden in Gedenken an Phil Mickelson eine kleine Kopie des Ryder Cups bekommen.

Kommentare   

#1 Markus Kremer 2018-10-25 14:35
Dann hätten wir uns ja fast doch noch über den Weg gefahren. Fahren gerade mit dem Mietcamper auf North Berwick zu, um ihn dort in der näheren Umgebung wieder abzugeben. :)

Markus

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